Peter Dorn


Zur Entwicklung der Ökonomik des Produktionsmittelhandels
(Kurzfassung)

Der hohe Abstraktionsgrad der Politischen Ökonomie sowie das Fehlen einer eigenständigen Betriebswirtschaft verhinderten zu Beginn der Fünfziger Jahre das tiefere Eindringen in die ökonomischen Prozesse, deren wissenschaftliche Analyse und ihre praxisrelevante Darstellung. Es entstanden deshalb Zweig- und Bereichsökonomiken, die Elemente der Betriebswirtschaft mit in sich aufnahmen und die - durch die Disziplinen Organisation und Technik sowie Rechnunsführung und Statistik ergänzt - die notwendige Tiefe für die Analyse und Darstellung ermöglichten. Industrie-, Agrar-, Arbeits-, Finanz-, Transportökonomiken wurden von der Praxis besonders benötigt. Der Handel wurde jedoch damals noch vernachlässigt und unterschätzt, außerdem herrschte ein enormer Mangel an Waren, wodurch ein echter Handel beschwert wurde. Die Binnenhandelsökonomik wurde in Leipzig von C. Teichmann entwickelt und ausgebaut. Es erfolgte eine konsequente Abgrenzung zum Außenhandel, weil dieser internationale Gepflogenheiten und kapitalistischen Marktbedingungen unterworfen war. Teichmann nahm eine Unterscheidung von Produktionsmittelverteilung und Binnenhandelsökonomik vor. Begründet war das einmal durch den derzeitigen Mangel an Produktionsmitteln, die fast ausschließlich streng zentral bewirtschaftet und durch staatliche Weisungen verteilt wurden. Zum anderen, weil damals die fehlerhafte These Stalins noch nicht überwunden war, Produktionsmittel seien keine Waren, sie würden nur eine Warenhülle aufweisen. Fragen des Produktionsmittelhandels wurden deshalb nicht Gegenstand der Binnenhandelsökonomik, sie wurden im Rahmen der Materialwirtschaft behandelt und an der Hochschule für Ökonomie in Berlin-Karlshorst von H. Fülle und C. J. Strauß bearbeitet.

Die Materialwirtschaft ging von der Einheit von Absatz und Versorgung aus, sah im Produktionsmittelhandel keinen selbständigen Wirtschaftszweig, sondern ordnete ihn als Absatzorgane der Industrie ein. Für das Verständnis des Produktionsmittelhandels als eigenständiger Wirtschaftszweig, der Funktionen der Materialwirtschaft auszuüben hatte, wirkte außerdem noch erschwerend die notwendige Abgrenzung zum Direktverkehr. Direktverkehr und Produktionsmittelhandel sind zwei sich alternativ ergänzende Zirkulationsarten, die beide unter bestimmten Bedingungen Berechtigung besitzen und deshalb die ökonomisch gerechtfertigte Bestimmung der jeweils anzuwendenden Zirkulationsart zu einem gravierenden Element der Produktionsmittelzirkulation werden lassen. In diesem Zusammenhang ist auch auf die lange Zeit vorherrschende Interpretation der These vom Primat der Produktion hinzuweisen, die vielmals als Begründung herangezogen wurde, den Produktionsmittelhandel der Industrie zu unterstellen und deren Bedingungen zu akzeptieren.

Wichtige Grundlagen wurden in den Dissertation von Fülle "Die Absatzorgane der Industrie" und von Strauß "Der Produktionsmittelgroßhandel", beide als Broschüren veröffentlicht , gelegt.

In der Dissertation von Dorn wurde der Produktionsmittelhandel in der Systematik aller Handelsorgane mit aufgenommen, einschließlich des Erfassungs- und Versorgungshandels der Landwirtschaft. Im Lehrprozess spielte der Produktionsmittelhandel jedoch nur eine geringe Rolle, fand Eingang in die Lehrveranstaltungen Organisation und Technik des Großhandels, allerdings nur in Leipzig. Die übrigen Einrichtungen, die sich in der DDR mit Binnenhandelsökonomik befassten, konzentrierten sich nur auf den Binnenhandel und dabei bevorzugt auf den Einzelhandel. (Humboldt-Universität Berlin: Jarowinsky, Kunz; Hochschule für Ökonomie Berlin-Karlshorst: Eckert, Los). Das ergab sich auch daraus, dass der Einsatz der Absolventen durch das Ministerium für Handel und Versorgung und ein Einsatz im Produktionsmittelhandel nur sehr selten als Ausnahme erfolgte. Nachdem 1962 Dorn zur Fachrichtung Volkswirtschaft an der Wifa Leipzig überwechselte, wurden Fragen des Produktionsmittelhandels unter Leitung von H. Schönpflug in einer Arbeitsgruppe am Institut für Binnenhandelsökonomik der Wifa bearbeitet.

Zu erwähnen ist besonders die von Schönpflug erarbeitete Vorlesungsreihe "Industrieabsatz", die erstmals den Produktionsmittelhandel in einer einheitlichen Veranstaltung darstellte. Der Arbeitsgruppe gehörten weiterhin an: R. Martin, Absolvent Binnenhandel später agrotechnik, H. Schulze, Absolvent Binnenhandel, zeitweise Metallurgiehandel und R. Beiersdorfer Absolvent Binnenhandel, Handelsstatistik, Assistent Konsumfachschule Blankenburg. 1963 wurde die Hochschule für Binnenhandel aufgelöst und die Ausbildung für den Handel in Leipzig konzentriert. Zugleich wurde an der Wifa der Karl-Marx-Universität neben einem Institut für Binnenhandelsökonomik die Fachrichtung Ökonomik des Produktionsmittelhandels mit eigenständigem Institut gegründet und die spezielle Ausbildung für diesen Wirtschaftszweig im Direkt- und Fernstudium aufgenommen. Zum Fachrichtungsleiter und Institutsdirektor wurde P. Dorn berufen. Zum Institutskollektiv gehörten außerdem: H. Schönpflug, R. Beiersdorfer, H. Steudtner, der allerdings die erste Zeit noch der Fachrichtung Finanzökonomik angehörte und der als Absolvent der Hochschule für Ökonomie Berlin-Karlshorst gekommen war.

In kurzer Zeit musste die gesamte Lehre aufgebaut werden, es waren Fernstudienbriefe herauszugeben und die Studenten zu betreuen (einschließlich Praktika und Diplomphase), wozu große Anstrengungen erforderlich waren. Der Fachrichtung oblag die Auswahl und Prüfung der Bewerber sowie die Absolventenvermittlung. Der Personalbestand konnte im Laufe der Jahre durch die Einstellung von Assistenten systematisch erhöht werden: J. Brandt, Absolvent und Beststudent der Fachrichtung, später Maschinenbauhandel; H. Leber, Absolvent Industrieökonomik, später Direktor Versorgungskontor Papier und Bürobedarf; A. Horn, Absolvent Industrieökonomik, später Abteilungsleiter der DDR-Delegation bei der UNO in New York; C. Schwarz, Absolvent der Fachschule für Erfassung und Aufkauf Rodewisch, später Institut für Getreidewirtschaft Berlin; W. Putz, Absolvent Industrieökonomik, später Wifa. Auch ein Arbeitsökonom wurde auf Weisung der Dekanatsleitung in das Institut delegiert, der jedoch keine Leistungen erbrachte und offensichtlich nur zur politischen Kontrolle gekommen war.

Die von 1963 bis 1969 erbrachten Leistungen zum Aufbau der Fachrichtung Produktionsmittelhandel beruhten zum größten Teil auf einer ausgezeichneten Zusammenarbeit der Institutsmitglieder. Die unterschiedliche Spezialisierung und der unterschiedliche Profilierungsstand wirkten sich günstig aus ( Industrie-, Finanzökonomik, Getreidewirtschaft). Der Spezialisierung entsprechend wurden die Lehraufgaben verteilt und zugleich die Dissertationen angefertigt und erfolgreich verteidigt. In der betrieblichen Praxis hatte sich das Kollektiv der Institutsmitglieder gut eingeführt und wurde entsprechend geachtet, unterstützt und zur Beratung herangezogen. Die Fachschule in Rodewisch und später auch die in Magdeburg übernahmen die Lehrbriefe des Fernstudiums als Grundlage ihrer Lehre. Es konnten dem Wirtschaftszweig jährlich gut ausgebildete Kader zur Verfügung gestellt werden.

Obwohl die Unterschiede in der Auffassung zur Einordnung des Produktionsmittelhandels nie ganz überwunden werden konnten - Materialwirtschaft Berlin Fülle und Strauß: Produktionsmittelhandel als eigenständiger Wirtschaftszweig des Binnenhandels mit materialwirtschaftlichen Funktionen und Aufgaben unter Berücksichtigung der beiden alternativen Zirkulationsarten Direktverkehr und Handel - ergab sich zwischen beiden Einrichtungen eine enge und fruchtbare Zusammenarbeit. Es wurden für das Ministerium für Materialwirtschaft , dem die Verantwortung für den Produktionshandel oblag, wichtige Analysen und Vorschläge erarbeitet und die beiden Einrichtungen traten gemeinsam auf, sowohl in den Zweigen und Betrieben des Produktionsmittelhandels als auch auf internationalen Symposien der Materialwirtschaft in Warschau, Varna, Györ, Dresden und Berlin.

Später wurden ausgewählte Vorlesungsabschnitte von Gastdozenten beider Einrichtungen gehalten ( Materialwirtschaft in Leipzig von Dozenten aus Berlin und Produktionsmittelhandel in Berlin von Dozenten aus Leipzig).Die Fernstudienbriefe wurden zur Ökonomik des Zweiges entwickelt und als Monographie und später als Lehrbuch herausgegeben.

Die erfolgreiche Entwicklung wurde 1969 abgebrochen. Mit der Gründung der Handelshochschule Leipzig wurden außer den Ausbildungsstätten Berlin (Humboldt-Universität und Karlshorst) sowie Rostock auch die Fachrichtung und das Institut für Produktionsmittelhandel aufgelöst. Die neu gegründete Handelshochschule gliedert das Studium nicht mehr nach Einsatzbereichen Einzelhandel, Großhandel, Hotel- und Gaststättenwesen und Produktionsmittelhandel sonder arbeitet mit einem sogenannten "Bausteinsystem" und unterschied Grundlagenstudium, volkswirtschaftliche Systemgestaltung, Betriebswirtschaft, marxistisch-leninistische Organisationswissenschaft, Technologie und Warenkunde. Für den Produktionsmittelhandel blieb nur noch ein "Baustein Produktionsmittelhandel" an der Sektion Systemgestaltung, dem Dorn, Beiersdorfer und Schulze angehörten, sowie Steudtner, der jedoch stellenplanmäßig noch zur Finanzökonomie gezählt wurde. In der Betriebswirtschaft, der Organisationswissenschaft sowie der Technologie fand der Produktionsmittelhandel keine Aufnahme, was sich nachteilig auf die Ausbildung der Studenten auswirkte und besonders im Fernstudium zu einem ständigen Rückgang der Bewerber führte.

Die euphorischen Erwartungen, die an das Bausteinprinzip seitens der Hochschulleitung gestellt waren, erfüllten sich nicht, und auch in der Praxis zeigte sich, dass mit ökonomischen Hebeln allein die Mängel einer stark zentralisierten Planung und einer Ignorierung der Marktgesetze nicht aufgehoben werden konnten. In Auswertung dessen wurde die Sektion "Marxistisch - leninistische Organisationswissenschaft" aufgelöst und "Betriebswirtschaft" ausgebaut sowie die Sektion "Systemgestaltung" in " Sozialistische Volkswirtschaft / Binnenhandel" umbenannt. Der Produktionsmittelhandel wurde jedoch nur im Rahmen der Sektion Binnenhandel bearbeitet, von der Betriebswirtschaft nach wie vor ignoriert und vernachlässigt. In der Technologie fand jedoch eine besondere Behandlung des Produktionsmittelhandels Eingang.

Seit Bestehen der Handelshochschule hatte sich das Kollektiv des Produktionsmittelhandels ständig gegen teils unqualifizierte Angriffe zu wehren und musste ständig um seinen Bestand kämpfen. Trotzdem gelang es im Rahmen der zwar kurzen und zu spät einsetzenden Spezialisierungsphase der Studenten die Ausbildung zu sichern und den Personalbestand zu erweitern sowie durch die Arbeit von Forschungsstudenten zu ergänzen und Absolventen als Assistenten zu übernehmen ( B. Leisner, später Philosophie; E. Weidner; H. Göschel, Betriebsleiter Kohlehandel, später Auslandseinsatz Afghanistan, derzeit neue private Handelshochschule; H. Knöller, später Direktor im Holzhandel; Ph. Staudte, später Fachschule für Energie, derzeit Kämmerer in Markkleeberg; M. Jung; D. Pertzsch; J. Radloff; 0. Gentschew; R. Brunzlaff; Sattler; Jurck; Herrmann; Eichler).

Um die erforderliche Durchdringung der Lehre mit neuen Methoden, insbesondere der Mathematik, EDV und Logistik zu gewährleisten, war neben der Einstellung eines Mathematikers (R. Laue) die ständige Eigenqualifizierung der Mitarbeiter notwendig.

Auch nach Eingliederung des Wissenschaftsbereiches Produktionsmittelhandel in die Sektion Betriebswirtschaft musste ständig gegen falsche Auffassungen sowie versuchte Einengungen und unqualifizierte Angriffe angegangen werden. Der Versuch, den Produktionsmittelhandel in eine einheitlich Binnenhandelsökonomik einzugliedern, scheiterte nach kurzer Zeit und der Versuch, den Produktionsmittelhandel als eine Variante des Großhandels zu interpretieren, hatte weder Grundlage noch Erfolg. Die vielen Querelen hinderten jedoch an der systematischen Weiterentwicklung der Ökonomik des Produktionsmittelhandels und wirkten auch negativ auf die Ausbildung und Motivation der Studenten. 1985 schied P. Dom nach erfolgter Emeritierung aus dem Wissenschaftsbereich Produktionsmittelhandel aus. Die Leitung übernahm H. Steudtner und baute den Wissenschaftsbereich Produktionsmittelhandel erfolgreich aus. 1990 erfolgte die angeordnete Abwicklung der Handelshochschule und damit auch des Wissenschaftsbereiches Produktionsmittelhandels. Damit endete die Ausbildung für diesen Wirtschaftszweig.


Prof. em. Dr. habil. Peter Dorn
Leipzig, den 6.5.1996

(Weitere Hinweise enthält eine 1988 ausgearbeitete Studie zur Entwicklung der Ökonomie des Produktionsmittelhandels im Umfang von ca. 20 Seiten)